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=== Heimkehrer === | === Heimkehrer === | ||
*[https://www.wolfurt.at/system/web/getDocument.ashx?fileid=1011888&cts=1606298640 Heimat Wolfurt Heft 16] Seite | ==== Vom Eismeer nach Hause - Eduard Köb ==== | ||
Schmieds Eduard wurde 1917 geboren. Beim „Anschluß" Österreichs an Deutschland war | |||
er also gerade 21 Jahre alt und wurde daher sofort, noch zu Friedenszeiten, am 2. Dezember | |||
1938 zu den Gebirgsjägern nach Landeck eingezogen. Noch vor Kriegsbeginn wurde er | |||
mit seiner Einheit an die polnische Grenze verlegt. Ab 1. September 1939 marschierten sie | |||
in Polen ein, im Mai des nächsten Jahres in Frankreich. Eduard arbeitete die meiste Zeit als | |||
Hufschmied für seine Tragtierkompagnie. Im Herbst 1940 wurde die Truppe schließlich | |||
nach Kirkenes in Nord-Norwegen verlegt. Auch dort begann am 22. Juni 1941 der Angriff | |||
auf Rußland. | |||
Drei Jahre lang krallten sich die Gebirgsjäger unter großen Verlusten an der Eismeerfront | |||
fest. Dann warf sie der russische Großangriff vom 6. Oktober 1944 zurück. Am 8. Oktober | |||
geriet Eduard schwer verwundet in Gefangenschaft. Mit einem durchschossenen rechten | |||
Handgelenk und zahlreichen Granatsplittern in beiden Beinen humpelte er den weiten Weg | |||
in ein Zeltlager bei Murmansk. Kein Arzt, keine Wundbehandlung, zwei Wochen nur der | |||
eigene provisorische Notverband auf den Wunden! | |||
Dann ins Lager Babajwo bei Leningrad. Qualvolle Nächte auf einer mit Blut und Eiter | |||
beschmierten Wolldecke. Hunger! Eisige Kälte! - Ein Schmied wurde gesucht. Eduard | |||
bestand die angeordnete Prüfung und führte nun in einer winzigen Werkstatt die Reparaturen | |||
an den Kolchosewerkzeugen durch. Dort hatte er seine wichtigste Begegnung. Der | |||
Pan Major, ein Arzt als Leiter des Lagers, verlangte die Reparatur des zerbrochenen Bügels | |||
seiner Hornbrille. Eine Schmiedearbeit? Eduard schaffte es. Mit Blech von einer Konservendose | |||
und Kupfernieten aus einem Kabel des abgewrackten LKWs legte er über den | |||
gebrochenen Hornbügel eine kunstvolle Hülse. | |||
Das anerkennende Staunen des Arztes äußerte sich aber nun keineswegs in einer Behandlung | |||
der verkrusteten Wunden, sondern vorerst nur in einem mehrfachen „bolschoi | |||
spassibo", einem großen Dankeschön. Dann aber erhielt Eduard fast jeden Abend einen | |||
zusätzlichen Schöpfer „Kasch", jenen dürftigen Griesbrei aus Buchweizen oder Hirse, der | |||
die Gefangenen am Leben halten sollte. Und als am 23. September 1945 der Pan Major den | |||
ersten Transport von schwerkranken Österreichern zur Heimkehr zusammenstellte, da | |||
suchten und fanden seine Augen auch den Schmied. | |||
Fast fünf Wochen dauerte die Fahrt durch Rußland und Polen hinab nach Rumänien, wo | |||
sie im Entlassungslager Marmaros-Sziget ihre Papiere erhalten sollten. Täglich gab es eine | |||
Handvoll Trockenbrot, aber oft kein Wasser. Wenn der Zug auf freier Strecke hielt, rannten | |||
Halbverhungerte hinaus auf die Felder und suchten nach ein paar Zuckerrüben. Manchmal | |||
verpaßten sie die Abfahrt und blieben zurück, einem ungewissen Schicksal überlassen. | |||
Dann ging es endlich nach Westen, an die tschechisch-österreichische Grenze. | |||
Am 31. Oktober 1945 wurden die kranken | |||
Männer zu Fuß, die meisten ohne Schuhe, | |||
in einem qualvollen stundenlangen Marsch | |||
bei Bernhardstal über die Grenze nach Österreich | |||
geführt. Weiterfahrt nach Wien- | |||
Hütteldorf. Fünf unfaßbare Tage dort: warmes | |||
Essen! ein Strohlager! Wasser! Freiheit! | |||
Dann setzte man die Heimkehrer in einen | |||
Personenzug der Westbahn. Noch konnte | |||
man keine Ankunftsmeldung in die Heimat | |||
voraussenden. Eine unendlich lange Bahnfahrt | |||
durch die vier Besatzungszonen mit | |||
ihren strengen Militärkontrollen. Ganz allein | |||
stieg Eduard spät in der Nacht in | |||
Schwarzach aus, ganz allein mit seinen | |||
Gedanken zwischen Hoffnung und Angst. | |||
Bei Flatzo Beppe bog er gerade um die | |||
Hausecke, als das nahe Schulglöcklein | |||
zwölfmal zur Mitternacht schlug. Einen | |||
Augenblick mußte er innehalten, mußte dem | |||
Schall lauschen, der ihm sagte, daß er nun | |||
daheim sei. Dann stand er im dunklen Garten unter dem Schlafzimmerfenster seiner Eltern | |||
bei der Schmiede im Strohdorf. Mit ein paar Steinchen weckte er Vater und Mutter. Welch | |||
ein Wiedersehen mit dem Totgeglaubten! | |||
Am anderen Tag mußte Eduard zuerst die zerlumpten und verlausten Überreste seiner | |||
Uniform verbrennen. In den folgenden Wochen erreichte er erst nach mehreren Vorsprachen | |||
im Invalidenamt einen Röntgentermin und eine Aufnahme in das Lazarett Valduna. | |||
Hier wurden endlich, mehr als ein Jahr nach der schweren Verwundung an der Eismeerfront, | |||
Eduards Verletzungen genau untersucht. Dann operierte Dr. Bösch die schlimmsten | |||
Splitter heraus. Andere waren bereits weit durch die Muskeln gewandert und wurden erst | |||
später frei. Da arbeitete Eduard aber schon lange wieder an Esse und Amboß. Und dort, an | |||
seiner Werkbank, habe ich ihn unlängst, 50 Jahre nach Kriegsende, bei seiner Arbeit | |||
angetroffen. Dort hat er mir von der Arztbrille in Rußland und von der Schulglocke erzählt. | |||
*[https://www.wolfurt.at/system/web/getDocument.ashx?fileid=1011888&cts=1606298640 Heimat Wolfurt Heft 16] Seite 30 | |||
=== Kriegsende 1945, Nachtrag === | === Kriegsende 1945, Nachtrag === |
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