Freies kaiserliches Landgericht in Müsinen

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Das Gemeindewappen von Sulz, welches erst 1968 nach einem Entwurf des Schrunser Künstlers und Heraldikers Konrad Honold entstand, zeigt auf grünem Wappen einen in Silber gehaltenen Grafen als Richter, der einen Richterstab in der Hand hält und auf einem Sessel zu Gericht sitzt. Die Wappengestaltung erinnert daran, dass Sulz einst dieser Gerichtsort des Freien kaiserlichen Landgerichts in Müsinen war. Der grüne Hintergrund bedeutet, dass das Gericht „auf dem Felde“, also unter freiem Himmel tagte.[1]

Dieses Gaugericht für Churrätien bestand unter der Bezeichnung Freies kaiserliches Landgericht zu Müsinen bzw. später Freies kaiserliches Landgericht zu Rankweil in Müsinen über einen Zeitraum mehr als 1200 Jahren.

Name

Müsinen (auch: Mussinen, Müsen, Müs’n oder Mös‘n bzw. Musenne) soll sich von Müsela bzw. Mösela oder Müsln ableiten und so viel wie Holzklotz bedeuten.[2] Diese Holzklötze sollen durch das Frödischtal herausgeschwemmt worden sein.[3][4] Nach anderer Ansicht soll der Begriff Müsinen von der geologischen Beschaffenheit des mit Steinen besäten hügeligen Ackers stammen, und sich vom rätoromanischen muzina im Sinne von Steinhaufen herleiten und/oder aber, der Thingplatz war durch Steine markiert, wie dies etwa beim Gericht auf der Leutkircher Heide belegt ist. Ein Fresco im Treppenaufgang der Basilika Rankweil aus dem 17. Jahrhundert soll auf die Existenz solcher Steine hinweisen.[5]

Die Umgebung von Röthis und Sulz war reichsunmittelbares Gebiet und Karl der Dicke verschenkte hier 883 Felder, Wiesen, Äcker, Alpen und Leibeigene an das Kloster Sankt Gallen.[6] Der Name des Landgerichts als kaiserlich leitet sich daher von der Einsetzung durch einen fränkischen Kaiser bzw. dessen Administraion auf Reichsgut direkt ab.

Geschichte

Das Gericht Müsinen ist ein altes Gericht, dessen Anfänge sich in grauer Vorzeit verlieren.[7] Die Fridolinssage, berichtet über einen Prozess im Jahre 531, welcher vor dem Freien kaiserlichen Landgericht zu Müsinen abgehandelt wurde[8][9] und dem hl Fridolin Schenkungen sicherte.

Das Freie kaiserliche Landgericht zu Müsinen wurde im Laufe der Jahrhunderte von einem angesehenen regionenübergreifenden Gericht zu einem innerstaatlichen Gericht (dem k. k. freies Landgericht zu Rankweil in Müsinen). Diese einschränkende Entwicklung begann etwa 1375, als das Gebiet um Rankweil (Vinomna, auch Rankwil bzw. Rancovilla) und Sulz (Suls, Sullis) zu Österreich gelangte, und der Bedeutungsverlust wurde noch verstärkt durch die Gründung der Eidgenossenschaft 1499 und das endgültige Ausscheiden aus dem Verband des H.R.R.D.N. 1648. Dementsprechend führt zum Ende des Landgerichtes der Obervogt von Feldkirch als Richter die Gerichtsverfahren, während früher zuerst angesehene Personen aus der Großregion Churrätien und dann auch Adlige als Richter und Beisitzer eingesetzt waren. Zuletzt tagte das Landgericht bis 1805 im späteren alten Rathaus in Rankweil.[10]

Dieses Gaugericht bestand bis zur Übertragung der Herrschaftsgewalt über Vorarlberg an Bayern durch den Friede von Pressburg vom 26. Dezember 1805.[9] Nach der Rückübertragung des Großteils von Vorarlberg an Österreich 1814 wurde das Landgericht nicht wieder hergestellt. Der 1806 durch die bayrische Administration nach Feldkirch verlegte Gerichtssitz verblieb dort bis heute (siehe Landesgericht Feldkirch).

Gerichtsbezirk

Die Zuständigkeit der Landgerichte im Heilig Römischen Reich war ursprünglich nicht an die Grenzen eines bestimmten Territoriums gebunden und umfasste auch andere reichsunmittelbare Territorien (wie z. B. die Herrschaft Hohenems, die Reichsherrschaft Blumenegg oder den Reichshof Lustenau bzw. Liechtenstein).[11] Das Gaugericht in Churrätien in Müsinen umfasste eine sehr große Fläche, welche über Churwalden an den Septner (Septimer) sodann Richtung Etschland und bis zum Arlberg und zum Walensee und das Alpenrheintal bis zum Bodensee mitsamt dem hinteren Bregenzerwald bis zum Tannberg und Mittelberg (siehe Landgerichtsordnung 1579) reichte.[12] Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Gebiet immer kleiner, insbesondere durch die völlig Abkehr der Eidgenossenschaft vom Heilig Römischen Reich 1499 und dann endgültig 1648 sowie durch die teilweise inflationäre Austellung von Freiheitsbriefen ab dem 14. Jahrhundert an andere Gerichtsbezirke, Städte, Herrschaften bzw. Regionen.[13]

Gerichtssitz

Der Gerichtssitz war über Jahrhunderte in Sulz und wurde wegen der Appenzellerkriege im 15. Jahrhundert nach Rankweil verlegt (dies ist strittig).[14] Daher stammt die spätere Bezeichnung: Freies kaiserliches Landgericht zu Rankweil in Müsinen anstelle von Freies kaiserliches Landgericht zu Müsinen.[15] Müsinen ist ein Flurstück (kleiner Hügel) in Sulz an der Grenze zur Gemeinde Rankweil[9] zwischen den Flüssen Frutz und Frödisch. Die genaue Lage ist heute nicht mehr bekannt, da insbesondere die Frödisch das Gebiet mehrfach überschwemmte und sich der Lauf des Flusses und das umgebende Gelände verändert hat.[16]

Gericht

Die Anfänge des Gerichtes liegen im Dunklen der Jahrhunderte. Bekannt ist, dass das Gericht öffentlich war und über mehr als ein Jahrtausend im Freien tagte und jedermann seine Sache selbst vortragen musste, also ursprünglich keine Fürsprecher zugelassen waren.[17][18] Diese Restriktion bzgl. der Fürsprecher (Advokaten) hat sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte geändert, jedoch war es auch nach dem Erlass der Landgerichtsordnung 1579 für dieses Gericht nicht erforderlich, sich zwingend durch einen Fürsprecher vertreten zu lassen.[19] Das Gericht tagte nach Bedarf, wobei nach Möglichkeit mehrere Fälle auf einen Gerichtstag zusammengefasst wurden.

Das Gericht wendete je nach Sachlage das alamannische Volksrecht oder das regionale Gewohnheitsrecht an oder aber auch das Römische Recht.[20]

Kaiser Friedrich III. bestätigte am 8. April 1465 Herzog Siegmund von Tirol und dessen Nachkommen das freie Landgericht Rankweil in Müsinen, das Sigmund und seine Vorfahren von Kaiser Friedrich und dessen Vorfahren, den röm. Kaisern und Königen, gehabt haben, und das von Churwalchen bis an den Septimer (Settman) und die Etsch (gegen dem Etschlannd) bis zum Arlberg und auf der anderen Seite bis an den Walensee und das Rheintal bis zum Bodensee reicht, mitsamt dem hinteren Bregenzer Wald und dem Tannberg und was in denselben merckten gelegen und auf ettlich frey geslecht mit richten und urteil zu sprechen gesatzt und gewidemt ist und mit allen Freiheiten, Gnaden, Herrlichkeiten, Rechten, Gerechtigkeiten und löblichen Gewohnheiten nach altem Herkommen. Herzog Siegmund und seinen Nachkommen wurde bestätigt, dass sie

  1. das Landgericht mit einem freyen Richter und ettlichen freyen oder andern frumen teuglichen Urteilern zu besetzen, die von des Kaisers und des Reiches wegen bei allen Klagen Recht sprechen und mit Acht und Aberacht richten sollen, wie es vormals üblich war, wobei kein anderes ksl. Hof-, Land- oder Stadtgericht, allen voran das Hofgericht zu Rottweil, die Urteile widertreiben darf.
  2. dass auf jede Klage eine Ladung erfolgen soll und niemand rechtloß gelassen werden darf, außer eine Sache oder Partei werde nach Recht und Gewohnheit des Landgerichtes mit freyheitten abgevordert.
  3. Wenn jemand vor dem Landgericht, dem Landrichter oder den Urteilern zu Rankweil dieses Gerichtes wegen klagen möchte, soll darüber weder am Gericht zu Rottweil noch an anderen Orten, sondern nur vor Hz. Sigmund oder den künftigen Inhabern des genannten Landgerichtes verhandelt werden.
  4. Falls Landgericht, Richter oder Urteiler in der Vergangenheit durch ein anderes Hof- oder Landgericht in die Acht oder Aberacht geraten sind, von den Gegenparteien oder deren Erben deshalb keine Klage oder ansprach mer beschehe, und diese die Rankweiler nicht an irem gerichte verhindern oder bekrencken dürfen.
  5. Falls man aufgrund eines Krieges oder aus anderen Ursachen das Landgericht zu Rankweil am üblichen Ort bequemlich nit besitzen kann, soll es der Landrichter nechst vor der Stadt Feldkirch, auch auf des Reichs freyen strass mit den freien und andern erbaren Männern abhalten. Zudem soll die Gerichtsstatt zu Rankweil auf Veranlassung des Richters zum Schutz vor Unwetter und Regen von einem Dach bedeckt werden, wobei die Seiten offenzubleiben haben, jedoch unbeschadet der oberkeitt, gewaltsam, Rechte und Gerechtigkeiten des Kaisers und des Reiches.[21]

Am 14. November 1750 wurde von Maria Theresia eine neue Landgerichtsordnung dem nunmehr k.k. freien kaiserlichen Landgericht zu Rankweil in Müsinen gegeben.[22]

Sage

Mehrere überlieferte Sagen beschäftigen sich mit dem früheren Freien kaiserlichen Landgericht zu Müsinen.[23][24]

Heiliger Fridolin

Der Überlieferung nach lebten in Churrätien zwei Brüder, Urso und Landolf, die zu Reichtum gekommen sind. Urso schenkte mit Brief und Siegel den ihm gehörigen Teil des Vermögens im Einverständnis mit seinem Bruder dem vom hl. Fridolin gegründeten Kloster Säckingen. Nach dem Tod von Urso verweigerte Landolf jedoch die Herausgabe dieser Schenkung. Der hl Fridolin verklagte ihn daraufhin vor dem Freien kaiserlichen Landgericht zu Müsinen, welches das zuständige Gaugericht war. Hier wurde verlangt, dass der hl Fridolin den verstorbenen Geschenkgeber zur Zeugenschaft dem Gerichte vorführen solle (Urkunden hatten damals weniger Beweiskraft als Zeugen und Eide). Der hl Fridolin soll daraufhin die Gerichtsstätte verlassen und gegenüber dem Liebfrauenberg in Rankweil Gott um Hilfe gebeten haben. Darauf habe ihm eine überirdische Stimme befohlen, er solle nach Glarus ziehen und den toten Ursus als Zeuge gegen Landolf aufrufen. Der hl. Fridolin soll sodann zum Grabe des Urso nach Glarus gewandert sein, ließ es öffnen und rief den Toten mit der Kraft Gottes aus dem Grabe heraus. Den vom Tod Erweckten nahm er bei der Hand und führte ihn nach Rankweil zum Landgericht. Der darüber entsetzte Landolf ging in sich und soll nicht nur den Anteil von Urso herausgegeben, sondern zur Sühne auch seinen eigenen Besitz dem Kloster Säckingen überschrieben haben. Darauf begleitete der hl Fridolin den Toten wieder in sein Grab zurück.

Verlegung des Landgerichts nach Rankweil

In der Zeit der Bauernkriege sollen vom Kästenholz (Kastanienholz) an der Berghalde in Röthis schreckliche, vermummte Gestalten, ja Ungeheuer, gekommen sein, welche die Richter und Beisitzer erschraken. Dies sei der Grund gewesen, warum der Gerichtssitz von Müsinen in Sulz nach Rankweil verlegt wurde. Dabei gelobten die Richter, dem Heiligen Fridolin zu Ehren auf dem Liebfrauenberge eine Kapelle zu erbauen.

Hügel zu Müsinen

Um den Hügel zu Müsinen soll man bis heute noch in der Nacht ein Tosen und Hallen hören von den Geistern derjenigen, die sich dereinst dort zum Thing versammelt haben.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Karl Frick: Gemeindewappen Sulz (Version vom 2. April 2015 im Internet Archive) in der Gemeindechronik der Gemeinde Sulz.
  2. Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 25.
  3. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 208.
  4. Georg Keckeis: Röthis und Viktorsberg, Bregenz 1908, S. 16.
  5. Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, herausgegeben vom Verein für Volkskunde in Wien, Band XXX, Wien 1976, S. 261.
  6. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 207 f.
  7. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 205.
  8. Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 4 und S. 26, Fn 6.
  9. 9,0 9,1 9,2 Siehe auch Joseph Chmel in: Der Österreichische Geschichtsforscher, Wien 1838, Erster Band, S. 178 f.
  10. Dieses Haus war vermutlich ursprünglich im Mittelalter als Taverne erbaut worden und es war in früherer Zeit nicht ungewöhnlich, dass Gerichtssitzungen auch in Tavernen abgehalten wurden.
  11. A. F. Büsching: Große Erdbeschreibung, Brünn 1785, S. 386 (google books).
  12. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 209.
  13. So wurde z. B. der naheliegenden Stadt Feldkirch insbesondere gegenüber dem Landgericht in Müsinen und auch allen anderen Hof- und Landgerichten 1379 von König Wenzel eine erhebliche Eigenständigkeit gewährt, so dass Bürger der Stadt Feldkirch nicht mehr vor Gerichten außerhalb der Stadt belangt werden konnten und nur nach dem in der Stadt geltenden Recht gerichtet wurden. König Ruprecht hat diese Stadt-Gerichtshoheit nochmals im Jahre 1404 bestätigt.
  14. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 209.
  15. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 210.
  16. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 207.
  17. F. K. Zimmermann: Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs S. 205 f.
  18. Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 5.
  19. Zum Text der Landegrichtsordnung von 1579 siehe Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 36 (Anhang I).
  20. Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 6 ff, 13.
  21. Regestendatenbank RI XIII Friedrich III. (1440-1493) - RI XIII H. 22, Webseite: regesta-imperii.de.
  22. Zum Text der Landegrichtsordnung von 1750 siehe Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 101 (Anhang II).
  23. Siehe Anna Hensler in: Rund um Vorarlberger Gotteshäuser, Heimatbilder aus Geschichte, Legende, Kunst und Brauchtum, Bregenz 1936, S. 16fDas Gaugericht zu Müsinen und die Gründung der Fridolinskapelle, Webseite: sagen.at.
  24. Johann Baptist Rusch: Das Gaugericht auf der Müsinerwiese oder das freie kaiserliche Landgericht zu Rankweil in Müsinen, S. 31, Fn 35.

47.2946749.645626Koordinaten: 47° 17′ 41″ N, 9° 38′ 44″ O