John Sailer

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John Sailer (geboren am 30. November 1937 als Hans Sailer) ist ein österreichischer Galerist und Gründer der Galerie Ulysses in Wien.

Leben, Werk

Seine Eltern waren der Journalist Karl Hans Sailer und die Juristin und Diplomatin Erna Sailer. Nach dem Anschluss im März 1938 war die Familie gezwungen, Österreich zu verlassen. Hans Sailer musste zunächst in Wien zurückgelassen werden, konnte aber noch im Säuglingsalter auf abenteuerliche Weise nachgebracht werden.[1] Seine Kindheit verbrachte er anfangs in Paris, später in New York. Die Familie konnte mit der Nea Hellas, einem der letzten Schiffe, die Europa verließen, ihre Flucht von Lissabon nach New York fortsetzen. Unter den Passagieren fanden sich 280 „important intellectuals“, darunter Heinrich und Golo Mann, Alfred Polgar, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel. Mit neun Jahren kehrte er mit der Familie nach Wien zurück. Er besuchte das Gymnasium Fichtnergasse, wo er den späteren Nationalrats- und Bundespräsidenten Heinz Fischer kennenlernte, die Freundschaft hält bis heute.[2][3] Bereits als Schüler besuchte John Sailer regelmäßig die Ausstellungen der Galerie nächst St. Stephan und der Galerie Würthle, später verkehrte er im Künstlerlokal Adebar sowie im Umkreis von Wiener Gruppe und Wiener Aktionisten. Er studierte w:RechtswissenschaftRechtswissenschaft, schloss aber das Studium nicht ab.

Anfang der 1960er Jahre stieg er in den Kunsthandel ein. Der erste Schritt erfolgte, als er auf dem Sperrmüll Sessel von Thonet entdeckte, deren Wert offenbar nicht erkannt worden war. Binnen kurzer Zeit baute er eine Sammlung von Thonet-Stühlen auf und stellte sie im Palais Liechtenstein in Wien aus. Die Ausstellung war recht erfolgreich, sie wurde in mehreren Museen und Ausstellungshäusern Europas gezeigt, unter anderem in München, Hamburg, Oslo und im Victoria and Albert Museum in London. Im Herbst 1967 war die John-Sailer-Sammlung am Carpenter Center for the Visual Arts der Harvard University ausgestellt. Den begleitenden Katalog, herausgegeben von Hans Buchwald, gestaltete der japanische Künstler Toshihiro Katayama.[4] 1969 war die Ausstellung im Österreichisches Kulturinstitut in New York zu sehen.[5] Die New York Times berichtete über die Sammlung – auf einer Doppelseite in ihrem Sunday Magazine.[1]

In Sailers Atelier in der Operngasse entstand 1964 die Selbstbemalung I von Günter Brus.[6] Am 5. Juli 1965 chauffierte Sailer in einer Ente den Künstler auf den Heldenplatz, Ausgangspunkt von dessen aktionistischem Spaziergang als bemalter Mann, der mit der Festnahme des Künstlers endete.[7][8] Im November 1974 eröffnete er in der vormaligen Garage des Hanuschhofes in der Goethegasse die Galerie Ulysses. Während der McCarthy-Ära war der Roman Ulysses von James Joyce derart in Verruf geraten, dass er sogar aus der Bibliothek des Wiener Amerika-Hauses verbannt wurde. Das Lieblingsbuch des jungen Kunsthändlers wurde zum Namensgeber seiner Galerie.[9] Die erste Ausstellung war eine Hommage an Monsignore Otto Mauer (1907–1973), der als Kunstsammler, Mäzen und Galerist die österreichischen Künstler der Nachkriegs-Avantgarde gefördert hatte. Bundeskanzler Bruno Kreisky gab John Sailer Ende der 1970er-Jahre den Auftrag, eine österreichische Avantgarde-Schau für die USA zu erstellen, doch das Projekt scheiterte.[10][11]

1986 portraitierte ihn Maria Lassnig.[12][13] 1989 gründete er in New York die Ulysses Gallery New York, in der Folge organisierte er eine Arnulf-Rainer-Ausstellung im Guggenheim Museum. In Wien zeigte und verkaufte er Werke der Maler der École de Paris (Hans Hartung, Serge Poliakoff und Pierre Soulages), von Jean Arp, Julio Gonzàlez oder Roy Lichtenstein, dem 1992 eine Personale in neuen, zusätzlichen Galerieräumen im 1. Stock des Hauses gewidmet war. John Sailer vertrat die Galerie und ihre Künstler auf zahlreichen Kunstmessen, beispielsweise in Basel, Bologna, Brüssel, Chicago, Köln und Paris. Der Verlag der Galerie, geleitet vom Galeristen, hat zahlreiche Kataloge und Kunstbücher herausgegeben.

Sailer war erster Präsident des Verbandes österreichischer Galerien moderner Kunst, Österreich-Repräsentant im International Advisory Board der Kunstmesse Basel und Berater der österreichischen Bundesregierung betreffend die Reorganisation der Bundesmuseen und den Ankauf der Sammlungen Ludwig und Hahn für das Museum Moderner Kunst.

2002 kuratierte er die Ausstellung Kunst, Kunst, Kunst im Museum des 20. Jahrhunderts. Diese Schau setzte sich mit dem Österreichischen Staatspreis und dem Österreichischen Kunstsenat auseinander.[14] 2013 bezog er im Streit um die Restitution des Beethovenfrieses Stellung und befürwortete den Verkauf an die Republik. Dies sei durchaus im Sinne des Vorbesitzers Erich Lederer gewesen, den er persönlich gut kannte.

Zitate

Die ersten Jahre der Zweiten Republik habe ich als spannend und dynamisch erlebt. Es herrschte Aufbruchstimmung. Ich habe das Gefühl, dass man mit mehr Elan und kreativer an die Lösung von Problemen herangegangen ist als heute. Der respektvolle Umgang mit Gegnern war ausgeprägter. Es gab ein ehrlicheres Bekenntnis zur Gesinnung, eine weniger von Lobbyisten und PR-Firmen geschmiedete Politik.

John Sailer: Ich bin ein steckengebliebener Minimalist[15]

That’s what I admire: Ulysses is always thinking about alternatives; he never gives up; he wants to understand.

John Sailer: Gallerist of The Austrian Avant-Garde[1]

Publikationen (Auswahl)

  • Form from process - the Thonet chair, an exhibition of historic bentwood furniture from the collection of John Sailer, Vienna ; Carpenter Center for the Visual Arts, Harvard University, Cambridge, Mass., 1967
  • Sammlung Hahn, gemeinsam mit Gabriele Wimmer, Reihe Publikationen des Museum Moderner Kunst, Band 3, Wien 1979
  • Arnulf Rainer, gemeinsam mit Gabriele Wimmer, München: Prestel Verlag 1989, ISBN 3-7913-1035-6 (englisch), als Paperback auch 1997
  • Arnulf Rainer: William Shakespeare's Comedies, Histories and Tragedies, Wien, New York 1990 (englisch)
  • Milton Avery : Land and Seascape, mit Texten von John Sailer, Clement Greenberg und Mark Rothko, New York 1990 (englisch)
  • Jackson Pollock: Works On Paper, gemeinsam mit Gabriele Wimmer, Wien 1994
  • (Hrsg.): Kunst Kunst Kunst. Der Große Österreichische Staatspreis. Salzburg: Jung und Jung 2003, 467 Seiten, ISBN 3-902144-55-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 The Vienna Review: John Sailer: Gallerist of The Austrian Avant-Garde, 17. April 2013
  2. Herbert Lackner: Zeitgeschichte: Dichter und Denker auf der Flucht vor den Nazis, in: Profil (Wien), 9. April 2015
  3. Kurier (Wien): "Viele waren nicht erpicht darauf, die Juden zurückzuholen". Interview mit Herbert Lackner, 13. Mai 2021
  4. Worth Point: 1967 HANS BUCHWALD THONET CHAIR HARVARD EXHIBIT CATALOG, abgerufen am 23. Oktober 2022
  5. Österreichische Mediathek: Ausstellung von Thonet-Möbel in New York, Interview mit Gottfried Heindl und John Sailer für Radio Wien, Juni 1969
  6. Mutual Art: Selbstbemalung I, Operngasse, Atelier John Sailer, abgerufen am 20. Oktober 2022
  7. Deutschlandfunk Kultur: Clevere Strategie oder Störung der Ordnung?, 30. Juni 2021
  8. ORF: Ein Leben für die Kunst, 8. April 2017, Erratum: Im Text ist vom 30-jährigen Jubiläum der Galerie die Rede, es war das 40-jährige.
  9. Salzburger Nachrichten: John Sailer - der Pionier der Wiener Galerieszene wird 80, 30. November 2017
  10. Kleine Zeitung: Avantgarde-Diskussion im Burgtheater, 5. Jänner 2011
  11. Der Standard: "Es war die Quadratur des Kreisky", 14. Jänner 2011
  12. Mutual Art: Maria Lassnig: Portrait of a man (John Sailer), abgerufen am 20. Oktober 2022
  13. Maria Lassnig: Zeichnungen und Aquarelle. Hg. von Oswald Wiener, Gabriele Wimmer und der Künstlerin. Galerie Ulysses 1992, ISBN 3-85127-013-4
  14. Literaturhaus Wien: John Sailer (Hrsg.): Kunst Kunst Kunst. Der Große Österreichische Staatspreis., abgerufen am 20. Oktober 2022
  15. Der Standard (Wien): Ich bin ein steckengebliebener Minimalist, 27. April 2015