Wienerisch

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Das Wienerische ist ein ostmittelbairischer Dialekt, der in Wien und Umgebung gesprochen wird. Es unterscheidet sich vom Hochdeutschen unter anderem in Wortschatz, Grammatik und Aussprache; oft so deutlich, daß es außerhalb des spezifischen Sprachraumes – etwa bereits in Westösterreich – als weitgehend unverständlich empfunden wird.

Wienerisch ist weit mehr als nur ein ostmittelbairischer Dialekt. Er ist eine rhythmische Philosophie mit Humor.

Peter Wehle
Altwiener Couplet „Lokale Ausdrücke“ (um 1900)
Text: Anton Hauptmann; Musik: Rudolf Hauptmann
Notenblatt erste Seite / Text der ersten Strophe

Geschichte

Historische Entwicklung

Der Wiener Dialekt läßt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Schon als die ersten Habsburger damals die Herrschaft der Böhmen ablösten, zogen sie ein eigens angelegtes Wörterbuch zu Rate, um die örtliche Mundart besser zu verstehen. Im Laufe der Zeit hinterließen zahlreiche Völker – je nach wechselnden Herrschaftsbereichen – ihre Spuren; wie die meisten anderen Sprachen auch, war das Wienerische somit einer steten Entwicklung unterzogen. Als man um 1800 mit der wissenschaftlichen Erfassung des Wortschatzes begann, wurde zudem offenkundig, daß sich etwa die verschiedenen sozialen Schichten höchst unterschiedlicher Ausdrucksweisen bedienten – ein Phänomen, das sich bis heute erhalten hat und auch im deutschsprachigen Ausland regelmäßig zu (für Einheimische meist erheiternden) Fehlinterpretationen führt.

Definition und Unterschiede

Je nach Kenntnisstand werden oft die phonetisch kaum gefärbten Tonspuren der Sissi-Filme, die individuelle Aussprache Hans Mosers, das näselnde Schönbrunnerdeutsch oder auch die Artikulation österreichischer Sportler (bei TV-Interviews) mit dem Wiener Dialekt assoziiert. All diese Varianten haben jedoch ebensowenig mit der tatsächlich gepflogenen Umgangssprache gemein wie die Diktion heimischer Kabarettisten (wenn sie im Ausland auftreten) oder das sogenannte Burgtheaterdeutsch.

Die früheren mikrogeographischen Unterschiede haben sich zwar mittlerweile weitgehend verschliffen; das Meidlinger L zum Beispiel ist längst allgemeingültig. Dennoch bestehen nach wie vor vielfältige Variationen, je nach sozialem Stand, Beruf oder gesellschaftlichem Anlaß: Gespräche am Opernball werden anders intoniert als am Arbeitsplatz von Handwerkern; wobei ein erfahrener Wiener jederzeit zwischen den Versionen wechseln kann. Das legendäre Poidihuabarisch wiederum – benannt nach der fiktiven Figur eines archetypischen „Leopold Huber“ – hört man heutzutage in den Medien zumeist von Lokalpolitikern. (Es handelt sich dabei um eine Transferierung des Dialektes in vermeintliches Hochdeutsch.)

„Das Wienerische“ schlechthin ist also nicht exakt definierbar, da es sich aus einem breiten Spektrum örtlicher, chronologischer und situationsbedingter Varianten zusammensetzt. Es handelt sich im Wesentlichen um die Alltagssprache „echter Wiener“, wie sie nur vereinzelt in den Medien zu vernehmen ist – und mittlerweile auch immer seltener „auf der Straße“.

Aktuelle Tendenzen

Der Wiener Dialekt ist im Schwinden begriffen. Ein Grund dafür ist die hohe Migrationsrate: Bereits 2009 bestand, nach offiziellen Zahlen – also ohne Berücksichtigung der „Illegalen“ –, fast die Hälfte der Stadtbevölkerung aus sog. Neubürgern (die bereits hier geborene „zweite Generation“ eingerechnet)[1], wobei der Prozentsatz unter Jüngeren noch höher liegt. Angesichts dieser fortschreitenden Entwicklung sind des örtlichen Idioms Mächtige in Wien mittlerweile de facto in der Minderheit. Andererseits gab es im Laufe der Geschichte immer wieder massive Zuwanderungswellen – zuletzt Anfang des 20. Jahrhunderts durch Tschechen –, ohne daß die Wiener Mundart dadurch wesentlich beeinträchtigt worden wäre.

Die Hauptursache für das Veralten findet sich derzeit im Fortschritt globaler Informationstechnologie. Die aufgrund der weitaus höheren Einwohnerzahl von Deutschen dominierte Medienwelt des Sprachraumes (Werbung, Literaturübersetzungen, Filmsynchronisation) drängt ursprüngliche Ausdrucksformen in Österreich ebenso zurück wie etwa in der Schweiz. Jüngere Generationen werden heute zudem u.a. in ihren Sprachgewohnheiten weitgehend von Massenmedien sozialisiert. Diese Effekte betreffen neben dem Dialekt auch die österreichische Hochsprache, von der Artikelwahl bis hin zur Sprachmelodie. Dehnung und Artikulation werden sukzessive übernommen, ebenso wie Satzstellungen oder – in Deutschland übliche – Anglizismen [2].
Ein typisches Beispiel ist die Übernahme des Wortes „lecker“ aus dem Bundesdeutschen. Noch in den 1990ern wäre dieses Adjektiv hierzulande keinesfalls mit „schmackhaft“ assoziiert worden, da das mitschwingende lecken – von: „sich die Lippen lecken“ – im Österreichischen schlecken heißt; die Silbe „leck“ existierte bis dahin ausschließlich in der Konnotation mit dem Götzzitat („leck(man)oasch“).

Da der ursprüngliche Wortschatz zunehmend in Vergessenheit gerät, kann man davon ausgehen, daß das genuin Wienerische im Laufe der kommenden Jahrzehnte von einer standardisierten deutschen Umgangssprache nach und nach assimiliert wird.  

Sprachliche Eigenheiten

Wortschatz

Das Wienerische bewahrt wie kaum ein anderer Dialekt alt- und mittelhochdeutsche Wurzeln, weshalb es der ursprünglichen Sprache näher ist als das Hochdeutsche. Dies zeigt sich nicht nur an alten Wendungen, die der Hochsprache fremd geworden sind, sondern auch in der Phonetik: Trotz identischer Schreibweise werden Silben anders gefärbt, wenn sie unterschiedlicher etymologischer Herkunft sind (s.u.). Letzteres ist jedoch nur akustisch verifizierbar – da Wienerisch fast nur mündlich tradiert wird, existiert keinerlei verbindliche Orthographie.

Neben Vokabeln aus den Sprachen der Kronländer findet sich ebenso eine Vielzahl von Ausdrücken aus dem Jiddischen, dem Französischen, der Zigeunersprache und anderen mehr.

Aussprache

Die Wiener Mundart wird tendenziell als weich und melodiös empfunden. Das liegt hauptsächlich an der Lenisierung („harte“ Konsonanten wie t, p, k werden zu „d“, „b“, „g“) sowie der Gewohnheit, Vokale bisweilen in die Länge zu ziehen und – je nach Gesprächssituation – auch zu modulieren. Selbstlaute werden oft ganz anders ausgesprochen als im Hochdeutschen. Die entsprechenden Regeln sind jedoch äußerst komplex, da sie von vielen Faktoren abhängen. Auch dem Wiener selbst – so er nicht das Fachgebiet studiert hat – sind die Kausalitäten unbekannt; er intoniert automatisch.

Im Satz „Ich werde dir helfen“ zum Beispiel bleibt das erste i annähernd gleich, das zweite jedoch wird zum kurzen „a“; das erste e wird scheinbar zu „i “, das dritte hingegen zu einer Art „ö“. Ergebnis: „Ii wia da hööfm!“ (inhaltlich im Übrigen eine Drohung, im Sinne von „das werde ich dir abgewöhnen“). Stellt man den Satz um, bleibt die Bedeutung gleich, nicht aber die Silbenfärbung: „Dia wead ii hööfm!“. In der Bitte „Hilf mir“ wiederum wird das i des Verbs zu „ü“: „Hüüf ma!“. Hinzu kommt eine Vielzahl von Schattierungen, die in der Schrift keine Entsprechung finden. Der Vokal a etwa reicht von normal „heller“ Aussprache über nasale Varianten und zunehmende Verdumpfung stufenlos bis zum o. (Vgl. die Dialektversionen von „heiß“ - „angelehnt“ - „Haus“ - „Hasen“ - „Hose“.)

Nämliches gilt für praktisch alle Selbst- und Zwielaute; Phrasierung und Betonung im Satz sind dabei ebensowichtig. Daher gibt es auch keine einzige Transkriptionsart, die es dem Ortsfremden ermöglichen würde, einen geschriebenen Dialekttext korrekt auszusprechen. Selbst komplexe Lautschriften können hier nur ungefähre Anhaltspunkte liefern.

Grammatik

Auffällig ist die Vorliebe für den Diminutiv, wobei an Stelle des hochdeutschen -chen die Silbe „-erl “ angehängt wird. Damit ist jedoch nicht zwangsläufig eine – in welcher Hinsicht immer – kleinere Version des Hauptbegriffes gemeint. Oft ist es nur Ausdruck der Sympathie, weshalb ausschließlich historisch lange Gewohntem (bzw. standesmäßig Adäquatem) diese Vertraulichkeit zukommt. Ein „geigerl “ beispielsweise unterscheidet sich äußerlich nicht von der „geign“ (Violine); mit ersterem Kosenamen wird das Instrument aber eher bedacht, wenn es beim Heurigen erklingt. Andere scheinbar verkleinerte Substantiva haben überhaupt keine 'große' Entsprechung, wie etwa das „stamperl “ (Schnapsglas) oder das „pantscherl “ (amouröse Affäre).

Bei der Intonation von Diminutiva werden Vokalverdumpfungen des Ausgangswortes rückgängig gemacht: Der Bach heißt „boch“, sein kleines – respektive familiäres – Pendant jedoch „bacherl “. Das gilt auch für geläufige Eigennamen: Der erwachsene Karl heißt „Koarl “, der kleine „Kaarli “.
Das bloße „-l “ als Suffix hingegen dient oft weniger der Verkleinerung als der Differenzierung: „glos“ = Glas allgemein, „glasl “ = Trinkglas, „glaserl “ = familiär; „håus“ = Haus allgemein, „heisl “ = Abort (!), „heiserl “ = Eigenheim.

Was die Deklination betrifft, ist der hochdeutsche Genitiv im Wienerischen praktisch unbekannt. Entsprechende Relationen (Besitz, Verfügung) werden via Dativ plus Possessivpronomen formuliert: Augusts Gefährtin ist daher „dem Gustl sei oide“ („dem Gustl seine Alte“) – geläufig in der Form „in Gustl sei oide“.
Weitere sprachliche Spezifika stellen unter anderem das wie im Komparativ dar ( „greßa wia“ = größer als; „ois wia“ = so wie), oder der oft – im Gegensatz zur Rechtschreibung – beigefügte Artikel (Geld = „a göd“, d.h. „ein Geld“). Auch wird dem eigentlichen Verb gerne ein „tun“ vorangesetzt: „tuasd eh schaun“ = „achtest du auch wirklich darauf“.  

Psychologische Eigenheiten

Der „Wiener Schmäh“

→ Hauptartikel: Wiener Schmäh

Zentrales Element des Wienerischen ist die (selbst-)ironische Doppelbödigkeit. Die Grenzen zwischen Ernst und Witz sind dabei fließend. Diese Form der Kommunikation spiegelt eine Lebenshaltung wider, die sich stets ein gewisses Augenzwinkern bewahrt.

Der Duden übersetzt den Begriff mit „Trick“,[3] was jedoch an der Sache vorbeigeht. Er hat auch nichts mit „schmähen“ zu tun (ahd.: smahen = verächtlich machen), sondern leitet sich vom jiddischen schemá her (Erzählung, Gehörtes). Ortsfremden, insbesondere Deutschen, ist es meist unmöglich, die feinen Nouancen zu erkennen; da auch Mimik und Tonfall in das hintersinnige Wechselspiel eingebunden sind, wird Ironisches oft ernstgenommen oder freundlich-Scherzhaftes als Spott mißverstanden.

Übertreibung und Bildhaftigkeit

Sachverhalte werden selten in trockener, realistischer Form dargelegt. Formale Unter- und Übertreibungen sind fixer Bestandteil von Schilderungen, wobei sie seitens des Angesprochenen durchaus semantisch exakt „entschlüsselt“ werden. Eine Distanzbeschreibung wie „do brauchst ned ewig und drei tog umahatschn, do foist dreimoi um und bist scho duat“ versteht der Wiener etwa als – positive – Mitteilung, daß das gemeinte Ziel zu Fuß in weniger als zehn Minuten erreichbar ist. (Hdt. ungefähr: „Man muß nicht eine Ewigkeit plus drei Tage lang gehen, da die Entfernung nur drei Körperlängen beträgt“.)

Ein weiteres Merkmal ist der häufige Einsatz von Gleichnissen, die ebenso abstrakt wie bildhaft sein können: „schiach wia da zins“ („häßlich wie die Mietzahlung“), „ågschitt wia a hydrant“ („angeschüttet“ = betrunken), und so fort.

Das Ordinäre

Wie fast alle Dialekte weist auch das Wienerische ein breites Repertoire an Schimpfwörtern, Fäkal- und Sexualausdrücken auf; allein die Bezeichnungen für Geschlechtsmerkmale (etwa der weiblichen[4]) übertreffen zahlenmäßig bei weitem die Ausdrucksvarianten der Hochsprache - und ermöglichen dadurch, nebenbei, deutlich differenziertere Beschreibungen. Im Bereich der Kraftausdrücke und Drohungen zeigt sich die örtliche Mundart besonders farbenfroh und plastisch. Auf das Götzzitat zum Beispiel kann ein Wiener antworten: „Ii beiß da a gwind in oasch daßd schraufm scheißt“ ( „gwind“ = Gewinde, „schraufm“ = Schrauben).  

Kultur

Lyrik und Prosa

1935 brachte Josef Weinheber seinen erfolgreichen Gedichtband „Wien wörtlich“ heraus, der unter anderem Dialektverse enthält („Der Auflauf“); manches davon fand später auch Eingang in österreichische Schulbücher, nicht zuletzt wegen seiner völkisch-nationalen Gesinnung. Im gleichen Jahrzehnt verfaßte – unter ganz anderen Vorzeichen – Peter Hammerschlag seine skurrilen Gedichte, einige davon auf Wienerisch („Pülcherdialog ad infinitum“) oder mit zumindest wienerischem Einschlag; veröffentlicht wurden sie allerdings erst vierzig Jahre später, von Friedrich Torberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte die Wiener Gruppe für eine Renaissance der Dialektlyrik: Neben einschlägigen Werken etwa von Gerhard Rühm oder Konrad Bayer gilt vor allem das diesbezügliche Œuvre H. C. Artmanns („med ana schwoazzn dintn“, etc.) bis heute als richtungsweisend. In den 1970ern brachten es die Mundartdichter Trude Marzik („Aus der Kuchlkredenz“) und Anton Krutisch („Wiener Lavendel“) zu einer gewissen Popularität.

Schon im umfangreichen humoristischen Werk Alexander Roda Rodas finden sich unter anderem wienerische Dialoge („Wie man dem Wienerherzen wehetut“). 1906 erschien dann der berühmt-berüchtigte, Felix Salten zugeschriebene Roman „Josefine Mutzenbacher“: Die pornographische „Geschichte einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“ bedient sich – milieugemäß – auch des örtlichen Sexualwortschatzes. 1971 veröffentlichte Wolfgang TeuschlDa Jesus und seine Hawara“, eine Übertragung des Evangeliums ins Wienerische, die mittlerweile zum modernen Klassiker avancierte.

Theater und Kabarett

Das Alt-Wiener Volkstheater des 18. und 19. Jahrhunderts hatte die „einfachen“ Gesellschaftsschichten als Zielpublikum und bediente sich auch deren Sprache. Neben Autoren wie Josef Alois Gleich, Karl Meisl oder Adolf Bäuerle zählen vor allem Ferdinand Raimund und Johann Nepomuk Nestroy zu den prominentesten Vertretern.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Tradition des [[w:Volksstück|Volksstückes u.a. von Jura Soyfer („Der Lechner Edi schaut ins Paradies“) und Ödön von Horváth („Geschichten aus dem Wiener Wald“) fortgeführt. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund floß zunehmend Gesellschaftskritik in die komödiantische Form ein. In Karl Kraus' zwischen 1915 und 1922 verfasstem satirischen Erster-Weltkrieg-Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ illustrieren die Sprachgewohnheiten der Protagonisten den kriegshetzerischen Irrwitz jener Zeit.

In den 1960er Jahren dominierten zwei Bühnen die Wiener Kabarettszene. Das Simpl war schon 1912 gegründet worden; in der Zwischenkriegszeit hatte hier Fritz Grünbaum die Doppelconférence weiterentwickelt. Unter der künstlerischen Leitung von Karl Farkas wurde es zur Legende. Er selbst sprach in den Programmen meist Wiener Hochdeutsch, leicht jiddisch eingefärbt – der Dialektpart blieb eher Ernst Waldbrunn vorbehalten, seinem berühmtesten Bühnenpartner. Die „Konkurrenz“ residierte im Neuen Theater am Kärntnertor. 1959 von Gerhard Bronner eröffnet, entstanden hier – in Zusammenarbeit mit Größen wie Georg Kreisler oder Carl Merz – unter anderem Klassiker wie der „Travnicek“ und „Der Herr Karl“ (beide mit Helmut Qualtinger).

Heute ist die Mundart auf Kleinkunstbühnen beispielsweise von Lukas Resetarits, Andreas Vitásek, Alfred Dorfer, Josef Hader, Günther Paal oder Thomas Maurer zu hören. Der einzige Kabarettist, der seine Programme in unverfälschtem Wienerisch spricht, ist jedoch Roland Düringer.

Musik

Das alteingesessene Wienerlied konserviert gleichsam den Wortschatz und die Redensarten seiner Entstehungszeit. Seine Hochblüte erlebte es in der Zeit zwischen 1880 und 1930. Das Spektrum reicht dabei vom „Lieben Augustin“ bis zu den Aufnahmen etwa von Maly Nagl („I brauch’ ka schöne Leich“). Neben den Werken berühmter Autoren wie Wilhelm Wiesberg („D’ Hausherrn-Söhnln“), Carl Lorens („Jetzt trink ma no a Flascherl Wein“) oder Ludwig Gruber („Mei Muatterl war a Weanarin“) stehen vor allem die Schrammeln für weinselige Heurigengemütlichkeit.

In der Nachkriegszeit vom aufkommenden Schlager verwässert, wurde das Genre in den 1970ern u.a. von Horst Chmela („Ana hot immer des Bummerl“) und Karl Hodina („Herrgott aus Sta“) wiederbelebt. Roland Neuwirth, der sich als Erneuerer des Wienerlieds versteht, zeigte mit seinen Extremschrammeln auch, daß Blues und der Wiener Dialekt sehr gut zusammenpassen. Die Tradition volksmusikalischer Einflüsse durch Zuwanderer ist etwa bei der Wiener Tschuschenkapelle zu hören („Erst wann’s aus wird sein“). Auch Berühmtheiten von Oper und Bühne würdigten (und würdigen) das Wienerlied mit ihren Vorträgen, unter anderem Alexander Girardi, Hans Moser, Paul Hörbiger, Fritz Imhoff, Erich Kunz, Heinz Holecek oder Walter Berry.

Der von der Zeit des Ersten Weltkriegs bis zu seinem Tod in den späten 1950ern wohl populärste Vortragskünstler Hermann Leopoldi („In der Barnabitengassn“, „Schnucki, ach Schnucki“) stand mehr in der Tradition der Bar- und Varieté-Szene; während seiner Emigration in der Nazizeit paßte er sein Repertoire an die Gegebenheiten der deutschsprachigen New Yorker Exilcafés an. In den 1950/60er Jahren spiegelten hierzulande die kabarettistischen Lieder von Pirron und Knapp („Tröpferlbad“, „Hausmastarock“) die Wiener Lebensweise wider und waren so gut wie jedem bekannt.

Die Kabarettszene um das „Neue Theater am Kärntnertor“ (s.o.) persiflierte die bislang textlich vorherrschende gute Laune. Mit Zynismus und Treffsicherheit thematisierten Gerhard Bronner („Die alte Engelmacherin“) oder Georg Kreisler („Tauberl vergiften“) die dunkle Seite der Wienerseele. Ein besonderes Beispiel für die Abgründigkeit wienerischen Humors ist die 1966 produzierte Platte „Helmut Qualtinger singt Schwarze Lieder“, mit Texten von H. C. Artmann und Gerhard Rühm (Musik: Ernst Kölz).

Beeinflußt von US-amerikanischen Musikstilen – und gefördert durch die Verbreitung des Rundfunks – entwickelte sich ab den 1960ern der sogenannte Austropop. Zu den bekanntesten Vertretern zählen Wolfgang Ambros („Da Hofa“; Text: Joesi Prokopetz), Georg Danzer („Jö schau“) und Rainhard Fendrich („Oben ohne“). Bei Letzterem ist der hiesige Dialekt bereits oft durch Poidihuabarisch und Schönbrunnerdeutsch abgeschwächt. Im Laufe der Jahrzehnte setzten viele andere Repräsentanten auf eine künstlichen Pseudo-Mundart, um ihre Platten auch im deutschsprachigen Ausland verkaufen zu können; Tiefpunkt dieser Entwicklung stellen heute einheimische Schlagersternchen wie Christina Stürmer u.a. dar, die klares Piefkinesisch singen.
Der oft zitierte Liedermacher Ludwig Hirsch zählt ebensowenig zur wienerischen Musik. Der gebürtige Steirer imitierte zwar erfolgreich die „schwarze“ Seite hiesiger Texte; er konnte dabei jedoch nie die humoristisch-positive Seite einbringen – jenes gewisse Etwas, das den Schmäh ausmacht. Nicht zuletzt klingt seine Diktion allenfalls für Ortsfremde „original“.
Unter den in neuerer Zeit erfolgreichen Musikern bedient sich (der kroatischstämmige) Willi Resetarits – besser bekannt als Ostbahn-Kurti („Nochtschicht“; Text: Günter Brödl) – wieder eines bodenständigen Wienerisch.

Film und Fernsehen

Das ausgestrahlte Bild war noch Schwarz-Weiß, als der ehemalige Simpl-Conférencier Heinz Conrads in den späten 1950er Jahren das Fernsehpublikum erstmals mit den Worten „Küß' die Hand die Damen, guten Abend meine Herrn; seawas die Madln, griaß eich die Buam!“ begrüßte. Die wöchentliche Sendung „Guten Abend am Samstag“ – ein harmloses Unterhaltungsprogramm, vornehmlich für ältere Zuseher – wurde für fast drei Jahrzehnte zum Fixpunkt im ORF, mit unerreichten Einschaltquoten. Wienerischer Dialekt blieb im hiesigen TV für lange Zeit bieder-atmosphärische Verzierung.

Das änderte sich erst 1975 mit „Ein echter Wiener geht nicht unter“ (Autor: Ernst Hinterberger). Die Serie um den Arbeiter Edmund „Mundl“ Sackbauer (kongenial dargestellt von Karl Merkatz) zeigte – komödiantisch zugespitzt – in 24 Folgen den Alltag einer typischen Wiener Familie aus einfachen Verhältnissen. Obwohl auch hier die Dialoge meist einer fernsehgerechten Kunstdiktion folgen, finden sich viele echte Sprachpretiosen. In den 1990er Jahren brachte es die inhaltlich ähnlich gelagerte Serie „Kaisermühlen Blues“ vom nämlichen Autor sogar auf 64 Folgen; ein Grund für die breite Akzeptanz dürfte dabei auch die zeitgeistige Einarbeitung politisch korrekter Themata gewesen sein.

Ursprünglich vergleichbar war nur Helmut Zenkers 1976-1983 entstandene (zunächst als Hörspiel ausgestrahlte) Kriminalgeschichte um den fiktiven Wiener Polizeimajor Adolf Kottan. „Kottan ermittelt“ (Regie: Peter Patzak) erfreute sich als Satire auf gängige Kriminalserien großer Beliebtheit. Neben Darstellern wie Kurt Weinzierl oder Gusti Wolf war es vor allem der Kabarettist Lukas Resetarits (Bruder von Willi Restartis, s.o.), der die Reihe prägte.
Epigonalen Krimiserien wie „Kommissar Rex“ (1994-2004) oder „Stockinger“ (1996) mangelte es am Dialekt ebenso wie am anarchistischen Humor.

1998 kam „MA 2412“ heraus: Eine Situationskomödie in 34 Folgen, die das österreichische Bürokratentum anhand eines fiktiven „Wiener Amtes für Weihnachtsdekoration“ zum Inhalt hatte; Protagonisten waren Roland Düringer und Alfred Dorfer. Die nie ausgestorbene Verklärung der k&k-Monarchie wiederum wurde 2007-2010 in der satirischen Talkshow „Wir sind Kaiser“ (mit Robert Palfrader als „Kaiser Robert Heinrich I.“) ironisiert.

Bei Kinofilmen wurde immer schon darauf geachtet, den Dialekt nicht zu stark einzusetzen, um möglichst den gesamten deutschsprachigen Raum als Absatzmarkt zur Verfügung zu haben. Einige Filme, in denen zumindest teilweise Wienerisch gesprochen wird, sind:

Comics

Von einzelnen Cartoons – etwa in regionalen Tageszeitungen – abgesehen, ist das Wienerische auf diesem Sektor wenig präsent. Eine Ausnahme bildet die Mundart-Reihe der ComicserieAsterix“, in der bislang drei einschlägige Bände erschienen:

 

Alltagskultur

Essen und Trinken

Die leiblichen Genüsse liegen dem Wiener seit jeher am Herzen. So finden sich nicht nur im Vokabular der Wiener Küche zahlreiche ortsspezifische Spezialausdrücke; die hier wesentlichen Zentren gastronomischer Kultur haben darüber hinaus ihre jeweils eigenen Formulierungen im Sprachgebrauch hinterlassen.
Im Kaffeehaus bestellt man z.B. keinen Cappuccino, sondern eine melåusch. Kellner gibt es dort nicht: „Herr Ober“ ist die korrekte Anrede, beziehungsweise – so man bereits öfter zu Gast war – unter Einbeziehung des Vornamens etwa „Herr Franz“.

Beim Heurigen oder im Wirtshaus wiederum werden die servierenden Damen (nur) mit „Fräulein“ angesprochen. Wobei auf die Intonation zu achten ist: Wer „Froij-laihn" sagt, wird sofort als Ausländer erkannt ( „fräuleein“ – mit Meidlinger L – wäre annähernd richtig). Ähnliches gilt für Bestellungen wie Schorle statt „gsprizta“ oder Halbe statt „kriagl “. Das umfangreiche Begriffsrepertoire beim Würstelstand[6] variiert sogar bezirksweise, weshalb es für Ortsfremde faktisch nicht erlernbar ist.

Sport und Spiel

1956 setzten Pirron und Knapp dem Fußball mit ihrem Lied „Ländermatch“[7] ein musikalisches Denkmal. Das Wienerische bewahrt im betreffenden Jargon einerseits Ausdrücke der Originalsprache Englisch ( „metsch“ / match, „koana“ / corner), kennt aber auch viele nur hier verständliche Wortschöpfungen; etwa den „brotschuß“ – einen so schwachen Schuß, daß man dem Ball ein Stück Brot nachwerfen möchte, damit er in der Luft nicht „verhungert“ – oder das „guakerl “. Bei Letzterem verfehlt ein Spieler den Ball, weil er ihm zwischen den Beinen durchrollt (also unterhalb der „guakn“, i.e. des Penis).
Berühmt wurde die Radioreportage von Edi Finger aus dem Jahr 1978 beim Spiel Österreich gegen Deutschland: Seinen jubelnden Ausruf „I wer narrisch!“[8] gibt es heute sogar als Handy-Klingelton.

Neben Schach und Billard (vorzugsweise Carambol) erfreut sich in Wien das Kartenspiel großer Beliebtheit. Die am häufigsten gespielten Arten sind Tarock, Prefaranzen und Schnapsen. Entsprechend haben viele Fachausdrücke ihren Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. Der „gschdis“ (Sküs) als höchste Karte im Tarock steht synonym für Abweisung: „Mei oide hod ma in gschdis gebn“ bedeutet soviel wie „Meine Partnerin hat unsere Beziehung beendet“. Vom Schnapsen leiten sich u.a. „es bummerl ham“ (das Nachsehen haben) oder „ausn schneida sein“ her (sich aus einer schwierigen Situation gerettet haben): Im Spiel bezeichnet ein „bummerl “ eine verlorene Einzelpartie, das „schneiderbummerl “ eine ohne einzigen Punkt verlorene Gesamtpartie.  

Beispiel: Übersetzung des Bildtextes

Die im Eingangsbild abgedruckte erste Strophe des Liedes „Lokale Ausdrücke“ bezieht sich – man bedenke die Jahreszahl – auf ungefähr folgende Situation: Ein Herr aus dem Bürgertum ließ sich spätabends von einer Droschke chauffieren und zahlt dem Kutscher nur ein Drittel des geforderten Preises. Der Fahrer hat nun – nicht zuletzt wegen des Standesunterschiedes – kaum eine Möglichkeit, seine Forderung durchzusetzen. Was ihm bleibt, ist, seinem Ärger mit Beschimpfungen Luft zu machen; wobei er gezielt das (vermeintliche) Niveau des Fahrgastes zum Inhalt nimmt.

  • A Fiaker, der tuat für's Fahrn von an Herrn, bei der Nacht in der Leopoldstadt drei Gulden begehrn
„Bei der Nacht“ = spät abends/nachts; Leopoldstadt = Name des 2. Wiener Gemeindebezirkes; einer nicht unbedingt gut beleumdeten Gegend. „Begehren“: der Gebrauch dieses hochdeutschen Wortes ist bereits ironisch gemeint (schließlich steht dem Fiaker die Bezahlung ja zu).
  • der Herr sagt: Ich zahl' ein Gulden bloß nur, i glaub', für a Viertelstund fahr'n is das gnua!
„Eine Viertelstunde“: Man kann davon ausgehen (siehe weiter oben: Unter- und Übertreibungen), daß die Fahrt länger als 15 Minuten gedauert hat.
  • Der Fiaker tuat sag'n: Schau, daß d' weiterkummst von mein Wag'n
„Sieh zu, daß du weiterkommst“ = Aufforderung, sich zu entfernen.
  • Du bucklerts Maikäferl mit dem Mehlwurmheferl
„Buckliges Maikäferchen“: Vielleicht ging der Herr ja ein wenig gebeugt; oder er trug einen Frack, dessen Schöße an die Flügeldecken des Insektes gemahnten. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß derlei optische Anmutungen vom Sprecher insinuiert werden. „Mehlwurmhäferl“ war ein spöttischer Ausdruck für den Zylinderhut: In einem entsprechenden Gefäß wurden die Larven des Mehlkäfers als Nahrung für Stubenvögel gezüchtet.
  • tua nur g'schwind apasch'n sonst'n kriagst a Flaschn
„Abpaschen“ = sich sehr rasch entfernen / das Weite suchen; „Flaschen“ = Ohrfeige.
  • so a g'flickter Beitl, wecher Taschenfeitl
„Geflickter Beutel“ kann eine Anspielung auf die Zahlungsfähigkeit sein (der Geldbeutel desjenigen ist schäbig und mit Flicken ausgebessert); „gflickt“ bedeutete aber auch „blatternarbig“, und „beidl “ ist ein gängiges Schimpfwort (vulgär für: männliches Geschlechtsteil). Der „weche toschnfeidl “ („wech“ = in schlechtem Zustand; „feidl“ = Messer) dürfte sich ebenfalls auf die angezweifelte Männlichkeit des Fahrgastes beziehen.
  • is mit'n Masl, eh schon auf der Erd
„Masl“ = Glück, „eh“ = ohnehin, „auf der Erde“ = am Boden: Also jemand, den das (pekuniäre) Glück bereits verlassen hat.
  • mit deine Spatzenwad'ln kannst am Schubkarr'n rad'ln
„Mit deinen Waden, die so dürr wie die eines Spatzen sind, magst du mit einer Scheibtruhe Rad fahren“ ...
  • net mit'n Jukkazeugl, anbrennts Magenbeugl
... „aber nicht in einem Fuhrwerk mit schnellen Pferden, du angebranntes Mohnbeugel!“.
In diesen zwei Zeilen macht der Sprecher seiner Entrüstung via zunehmend phantasievoller Abschweifungen Luft. „Jucker“ = schnelles Pferd; „Zeugl“ = Gespann; das Mohnbeugel ist ein beliebtes Süßgebäck (ähnlich dem Kipferl).
  • i könnt den Wasserratzn ane einepatzen
„Könnte“ = möchte, würde gerne; „Wasserratte“: Hier eine Steigerung der Beschimpfung „Ratte“ (man beachte auch den scheinbaren Akkusativ im Artikel); „Einepatzen“ = hineinschlagen.
  • daß er nimmer zwölfe läuten hört
Eigentlich eine Morddrohung: „Er wird es nicht (einmal) mehr hören, wenn die Turmuhr Zwölf schlägt“ (also am längsten/lautesten); im Dialekt jedoch nie wirklich ernstgemeint.

Die folgenden beiden Strophen behandeln vergleichbare Situationen: Eine feine Dame am Naschmarkt erregt den Unmut einer Standlerin, und ein Hausmeister gerät in Ausübung seiner Tätigkeit mit einer noblen Passantin aneinander. Manche der in diesem Lied angeführten Begriffe sind zwar mittlerweile aus dem wienerischen Sprachgebrauch verschwunden – in Tenor und Grundhaltung bleibt es jedoch ein durchaus anschauliches Beispiel.  

Literatur

Wortschatz

Sonstiges

(Ohne Prüfung auf Stichhaltigkeit:)

  • Beppo Beyerl, Klaus Hirtner, Gerald Jatzek: Wienerisch – das andere Deutsch; 6. Auflage. Reise Know-how Verlag Peter Rump GmbH, Bielefeld 2006, ISBN 3-89416-269-4
  • Mauriz Schuster, Hans Schikola: Das alte Wienerisch. Deuticke, Wien 1996, ISBN 3-216-30210-5
  • Robert Sedlaczek: Wörterbuch des Wienerischen. Haymon Taschenbuchverlag, 2011, ISBN 978-3-85218-891-1
  • Oswald Wiener: Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen in Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt. Rogner & Bernhard, München 1969, S. 285–389
  • Josef Hader: Wienerisch mit The Grooves. digital publishing, München 2008, Audio-CD plus Textheft, ISBN 978-3-89747-723-0
  • Franz Seraph Hügel: Der Wiener Dialekt. Lexikon der Wiener Volkssprache (Idioticon Viennense). A. Hartleben's Verlag, Wien-Pest-Leipzig 1873
  • Arthur Fetzer (Hrsg.): Schmutzige Wörter Wienerisch–Deutsch. Eichborn, Frankfurt/Main 1993, ISBN 3-8218-2356-9
  • Sylvia Moosmüller: Soziophonologische Variation im gegenwärtigen Wiener Deutsch. Eine empirische Untersuchung. Franz Steiner, Stuttgart 1987, ISBN 3-515-05093-0

Weblinks

Wortschatz

Sonstiges

(Nur der Vollständigkeit halber angeführt; die Inhalte sind teilweise grob fehlerhaft:)

Einzelnachweise

  1. Wirtschaftskammer Wien (Hrsg.): Werbung in Wien – Handbuch für Mitglieder der Fachgruppe Werbung; 2010, S. 77
  2. „Rez gscheid!“: EVOLVER zum International Year of Languages 2008
  3. Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 20.Auflage, 1991; S. 634
  4. „Cherchez la femme“: Weibliche Geschlechtsmerkmale im Wienerischen
  5. „Exit ... nur keine Panik“: Der Film auf der IMDb
  6. „Heiß und fettig“: Der Wiener Würstelstand und seine Spezialausdrücke
  7. Pirron und Knapp: Das Ländermatch
  8. „I wer narrisch!“: Edi Finger, Córdoba 1978