Baumhaftung

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Abfolge bei der Erfüllung der Sorgfaltsverpflichtungen des Eigentümers eines Baumes und Dokumentation im Baumkataster
Kennzeichnung mit einer Nummer

Die Baumhaftung (richtig eigentlich Baumhalterhaftung, auch: Haftung für Bäume) ist eine Kurzbezeichnung für die Haftung eines Baumhalters in Österreich für den Zustand des Baumes, wenn jemand aufgrund des natürlich bestehenden mangelhaften Zustand des Baumes zu Schaden kommt.

Rechtliche Grundlage

Bis zur Schaffung einer eigenen Bestimmung wurde von der Rechtsprechung die grundsätzlich auf Bäume vom Gesetzgeber gar nicht dafür vorgesehene Bestimmung des § 1319 ABGB[1] (Haftung von Gebäudebesitzern – Bauwerkshaftung[2]) extensiv herangezogen.[3] Aus dieser Bestimmung - die wiederum auf dem Römischen Recht aufbaut - folgt eine Beweislastumkehr. Aufgrund der damit verbundenen Rechtsprechung in Österreich kam es zu teilweise unzumutbaren Sorgfaltsanforderungen in der Praxis, die von den Baumhaltern dadurch erfüllt wurde, dass sogenannte „Angstschnitte“ oder voreilige Baumfällungen durchgeführt wurden[4][5] , die wiederum mit dem Umweltschutz, Landschaftsschutz, Gemeinwohl, Allgemeininteresse an der Erhaltung von Bäumen etc. im Widerspruch standen.

Mit 1. Mai 2024 wurde deswegen nach langer Vorlaufzeit eine eigene Bestimmung im ABGB eingeführt[6], wobei sich diese Bestimmung auf das Umstürzen eines Baumes sowie das Herabfallen von Ästen bezieht.[7]

§ 1319b ABGB

(1) Wird durch das Umstürzen eines Baumes oder durch das Herabfallen von Ästen ein Mensch getötet oder an seinem Körper oder seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so haftet der Halter des Baumes für den Ersatz des Schadens, wenn er diesen durch Vernachlässigen der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung und Sicherung des Baumes verursacht hat.

(2) Die Sorgfaltspflichten des Baumhalters hängen insbesondere vom Standort und der damit verbundenen Gefahr, von der Größe, dem Wuchs und dem Zustand des Baumes sowie von der Zumutbarkeit von Prüfungs- und Sicherungsmaßnahmen ab. Besteht an einem möglichst naturbelassenen Zustand eines Baumes ein besonderes Interesse, wie etwa bei einem Naturdenkmal, in Nationalparks oder sonstigen Schutzgebieten oder wegen der Bedeutung des Baumes für die natürliche Umgebung, so ist das bei der Beurteilung der dem Baumhalter zumutbaren Maßnahmen angemessen zu berücksichtigen.

(3) Auf einen Schadenersatzanspruch nach dieser Bestimmung sind die allgemeinen Regelungen über die Beweislast anzuwenden.

(4) § 176 Forstgesetz 1975 bleibt unberührt.

Durch die Bestimmung des § 1319b Abs. 4 ABGB wird darauf verweisen, dass dieser neue spezialgesetzliche Paragraph im ABGB die schadenersatzrechtliche Haftung für Bäume betrifft, die nicht in Wäldern stehen. Für Bäume in Wäldern und die Haftung hierfür gilt weiterhin § 176 Forstgesetz (ForstG 1975[8]). Die Haftung des Baumhalters in Wäldern ist sehr stark eingeschränkt.[5][9]

§ 176 Forstgesetz (ForstG)

(1) Wer sich im Wald abseits von öffentlichen Straßen und Wegen aufhält, hat selbst auf alle ihm durch den Wald, im besonderen auch durch die Waldbewirtschaftung drohenden Gefahren zu achten.

(2) Den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen (wie Nutznießer, Einforstungs- oder Bringungsberechtigte, Schlägerungs- oder Bringungsunternehmer) und deren Leute trifft, vorbehaltlich des Abs. 4 oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes, keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten; sie sind insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, daß dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden.

(3) Wird im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung ein an diesen nicht beteiligter Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine ihm gehörige Sache beschädigt, so haftet der Waldeigentümer oder eine sonstige, an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Person für den Ersatz des Schadens, sofern sie oder einer ihrer Leute den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben. Ist der Schaden durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, so haften auch sie nur bei Vorsatz oder bei grober Fahrlässigkeit. Entsteht der Schaden in einer gesperrten Fläche, so wird nur für Vorsatz gehaftet. Das Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz, BGBl. Nr. 48/1959, bleibt unberührt.

(4) Für die Haftung für den Zustand einer Forststraße oder eines sonstigen Weges im Wald gilt § 1319a ABGB; zu der dort vorgeschriebenen Vermeidung von Gefahren durch den mangelhaften Zustand eines Weges sind der Waldeigentümer und sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen jedoch nur bei Forststraßen verpflichtet sowie bei jenen sonstigen Wegen, die der Waldeigentümer durch eine entsprechende Kennzeichnung der Benützung durch die Allgemeinheit ausdrücklich gewidmet hat. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter.

Geschichte

Das Allgemein Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) in Österreich kannte seit dem Inkrafttreten am 1. Jänner 1812 keine eigene Bestimmung über die schadenersatzrechtliche Haftung für Bäume (z. B. wegen dem Umstürzen eines Baumes oder durch das Herabfallen eines oder mehrerer Äste). Jahrzehntelang wurde von der Gerichtsbarkeit für solche Schadensereignisse - sofern das Forstgesetz nicht galt - die Bestimmung des § 1319 ABGB über die Bauwerkehaftung analog herangezogen. Diese Judikatur wurde in den letzten Jahren immer weiter zu Lasten des Baumhalters verschärft.[10] Dies fand in der Praxis keine ungeteilte Zustimmung (z. B. durch die „Plattform Österreichische Baumkonvention“) und es wurden immer wieder Stimmen für eine gesetzliche Regelung laut.[11]

Im Oktober 2019 wurde in Hainburg ein interdisziplinäres Symposium zur Haftung für Bäume abgehalten, bei dem Baumfachleuten und Juristen über allgemeine Standards und Kriterien für die Baumsicherung und die Baumhaftung sprachen und sich austauschten.[12]

Im Regierungsprogramm 2021 – 2024 (ÖVP/Grüne-Regierung) wurde dazu festgehalten, das dieses Haftung für Bäume evaluiert und der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern verbessert werden soll. Dadurch sollten Bäume und Wälder erhalten und ein unnötiges Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen verhindert werden.

Im Winter 2021 wurde vom Bundesministerium für Justiz ein Entwurf für ein Haftungsrechts-Änderungsgesetzes 2023 herausgegeben, welches bereits die Einfügung neuer Haftungsbestimmung zu Schäden durch einen Baum (§ 1319b ABGB) vorsah. Der Gesetzentwurf wurde im Frühjahr und Sommer 2021 in einer ministeriellen Arbeitsgruppe mit Vertretern des Gemeindebundes, der Plattform „Baumkonvention“, betroffener Interessengruppen, der Kammern und Mitgliedern von Rechtsberufen diskutiert. Im November 2021 fand in Traunkirchen ein weiteres Symposium zur Sicherung von Bäumen statt, wodurch es zu weiteren Beiträgen kam.[13] Nachdem weitere Änderungswünsche den Gesetzgebungsprozess verzögerten und erst auf einer Fachtagung im November 2023 eine Einigung erzielt wurde, konnte der abgeänderte Gesetzentwurf sodann dem allgemeinen Begutachtungsverfahren zugeführt werden.[14]

Baum

In der Regierungsvorlage wird zur Definition des Begriffs Baum ausdrücklich auf die deutschsprachige Wikipedia Bezug genommen und auf den Brockhaus 1997.[5]

Haftung

Die Haftung nach § 1319b ABGB richtet sich nun nach den allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts. Haftungsgrund ist die Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung und Sicherung des Baumes. Es handelt sich dabei um eine Verschuldenshaftung ohne Beweislastumkehr (wie bei der Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB). Ersatzfähige Schäden sind z. B. die Tötung eines Menschen, die Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung sowie die Beschädigung einer Sache durch umstürzende Bäume oder einen oder mehrere herabfallende Äste.[5]

Baumhalter

Baumhalter ist, wer für den Zustand des Baumes verantwortlich ist.[15] Als „Baumhalter“ wird eine Person verstanden, wie z. B. in den §§ 1319a, 1320 ABGB. In der Regel ist „Baumhalter“ der Eigentümer, Besitzer oder auch der Pächter eines Grundstücks, auf dem sich der Baum befindet. Es ist also die Person, welche die Kosten für die Pflanzung oder Erhalt des Baues trägt oder eine andere herrschaftsähnliche Verfügungsgewalt hat, einen Nutzen vom Baum zieht oder für Baumsicherungs- und Kontrollmaßnahmen zuständig ist.[14]

Kein Baumhalter ist in der Regel ein Baumpflege- oder Baumschnittunternehmens. Verursachen die Mitarbeiter eines solchen Unternehmens einen Schaden z. B. bei der Baumpflege oder bei der Fällung eines Baumes, so ist dieser Schaden nach den allgemeinen Regeln der Verschuldenshaftung zu beurteilen und nicht nach § 1319b, da ja einen konkrete Handlung einer Person für die Schädigung verantwortlich ist.

Die Sorgfaltspflichten des Baumhalters orientiert sich dabei insbesondere

  • am Standort des Baumes und der damit verbundenen Gefahr,
  • der Größe,
  • dem Wuchs und
  • dem Zustand des Baums.[16]

Die Sorgfaltspflicht für einen Baum, der sich in der Nähe einer Verkehrsfläche (Straße, Parkplatz, Kinderspielplatzes etc.) befinde, ist dabei anders zu beurteilen als für bei einem abgelegenen Baum in einem Hinterhof oder in der freien Landschaft. Ebenso bei Bäumen, die unter Naturschutz stehen oder ein Naturdenkmal sind. Hierzu wurde auch ein Leitfaden Baumsicherheitsmanagement herausgegeben. Es besteht auch nunmehr ein normiertes Interesse an einem möglichst naturbelassenen Zustand eines Baums, dessen Bedeutung für die natürliche Umgebung. Auch wird auf die Eigenverantwortung der Menschen aufgebaut. Ganz bewusst wurde auf eine Einschränkung des Sorgfaltsmaßstabes auf nur grobe Fahrlässigkeit verzichtet.[5][17]

Baumkataster

Um eine Zuordnung des Baumhalters und seine durchgeführten Sorgfaltsplichten zu ermöglichen, werden seit einigen Jahren Baumkataster geführt. Diese sind Verzeichnisse, in denen Stadt-, Straßen- oder Park-Bäume individuelle erfasst (Baumnummer) und verwaltet werden und deren Kontrolle eingetragen wird.

Normen

Die gesetzliche Grundlage in § 1319b ABGB wird durch ÖNormen ergänzt (Beispiele):

  • ÖNORM B 2241 Gartengestaltung und Landschaftsbau – Werkvertragsnorm
  • ÖNORM L 1050 Boden als Pflanzenstandort – Begriffe und Untersuchungsverfahren
  • ÖNORM L 1110 Pflanzen – Güteanforderungen, Sortierungsbestimmungen
  • ÖNORM L 1120 Gartengestaltung und Landschaftsbau – Pflegearbeiten
  • ÖNORM L 1122 über die Führung des elektronischen Baumkatasters
  • ÖNORM L 1125 Anforderungen an einen Baumkataster

Abgrenzung

Parallel zur Baumhaftung kann sich z. B., wenn ein Baum in der Nähe einer öffentlich zugänglichen Fläche steht, auch die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB oder dem Forstgesetz bestehen. Ein Baumhalter kann dann nach § 1319b bzw. dem Forstgesetz und der Wegehalter nach 1319a ABGB haften. Z. B. wenn die Mangelhaftigkeit des Weges aus dem Umstürzen des Baumes resultiert und keine Sicherungsmaßnahmen gesetzt wurden.[5]

Inkrafttreten

§ 1319b ABGB ist mit 1. Mai 2024 in Kraft getreten. Nach § 1503 Abs. 25 ABGB ist diese Bestimmung nur auf solche Schadensfälle anzuwenden, die sich nach ihrem Inkrafttreten ereignen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. JGS Nr. 946/1811.
  2. Der bei der Bauwerkehaftung im Gesetz verwendete Begriff der „mangelhaften Beschaffenheit“ ist z. B. bei der haftungsrechtlichen Beurteilung von Bäumen nicht sachgerecht. Ein Baum als Gebilde der Natur kann gar keinen Mangel in diesem Sinn aufweisen.
  3. Siehe z. B.: 1 Ob 50/70; EvBl 1970/294; 7 Ob 757/82; MietSlg 35.260; 5 Ob 564/85; SZ 59/121; 1 Ob 93/00h; ZVR 2002/21; 2 Ob 203/11h; MietSlg 63.205 u.a.
  4. Neue Haftungsregeln im ABGB sollen unnötiges Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen verhindern, Webseite: parlament.gv.at vom 21. März 2024.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 2462 Beilagen XXVII GP – Regierungsvorlage, Webseite: parlament.gv.at, abgerufen am 12. Mai 2024.
  6. Bundesgesetz, mit dem zur Lösung haftungsrechtlicher Fragen bei Bäumen das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch geändert wird (Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2024 – HaftRÄG 2024), BGBl. I Nr. 33/2024. Dieses Bundesgesetz wurde einstimmig beschlossen.
  7. Andere Haftungsproblematiken, wenn z. B. jemand von einem Baum herunterfällt oder als Skifahrer in einen Baum hineinfährt, sind hiervon nicht erfasst (siehe Erläuterungen zur Regierungsvorlage).
  8. Das Forstgesetz 1975 ersetzt das Forstgesetz 1852, welches durch kaiserliches Patent vom 3. Dezember 1852, RGBl. 250, mit Inkrafttreten zum 1. Jänner 1853, erlassen wurde (Forstgesetz 1852, Webseite: alex.onb.ac.at, abgerufen am 12. Mai 2024).
  9. BGBl. Nr. 440/1975.
  10. Dem wird teilweise widersprochen und keine Verschärfung der Haftung durch die Rechtsprechung in den letzten Jahren erkannt. Die Praxis sieht dies anders.
  11. Siehe z. B.: Jandl/E. Wagner: Umweltrelevante Haftungsfragen bei Bäumen, Pflanzen und Wegen, 2016.
  12. Siehe z. B.: Johannes Stabentheiner/Karin Büchl-Krammerstätter [Hrsg.]: Kriterien für eine differenzierte Baumhaftung, 2020. Kathrein, Johannes Stabentheiner: Die Hainburger Thesen zur Baumhaftung, ZVR 2020, 47. Johannes Stabentheiner: Die Hainburger Thesen zur Baumsicherung, in Der Sachverständige, 2020, 2.
  13. Stabentheiner/Wieser/Borkowski: Das zweite Symposium zur Baumsicherung und die Traunkirchener - Thesen, ZVR 2022, 23.
  14. 14,0 14,1 Johannes Stabentheiner, Christin Wieser: Gesetzliche Neuregelung der Haftung für Bäume – das Haftungsrechtsänderungsgesetz 2024 in Zak 7/2024, S. 125.
  15. In diesem Sinne ein Inhaber, Verwahrer, Verwalter (siehe: Deutsches Rechtswörterbuch: Halter, abgerufen am 12. Mai 2024).
  16. OGH 5 Ob 564/85 EvBl 1987/192.
  17. Johannes Stabentheiner, Christin Wieser: Gesetzliche Neuregelung der Haftung für Bäume – das Haftungsrechtsänderungsgesetz 2024 in Zak 7/2024, S. 129.