Disqualifizierter Geschäftsführer

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Ein zeitweise Disqualifizierter Geschäftsführer[1] ist, wer bereits Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied einer Kapitalgesellschaft ist oder dies werden will, und aufgrund der Begehung eines wirtschaftsnahen Deliktes zu einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bezeichnung

Der Begriff Disqualifikation von Geschäftsführern wird bereits in der Regierungsvorlage an den Nationalrat verwendet[2][3] und wurde aus der europarechtlichen Vorgabe (Richtlinie (EU) 2019/1151) entnommen. Die Disqualifikation umfasst auch Vorstandsmitglieder von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften sowie geschäftsführende Direktoren der SE und der SCE.[2] Nicht jedoch Mitglieder des Aufsichtsrates oder Prokuristen.

Da es bereits zuvor die Möglichkeit des Ausschlusses von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern bei Begehung von strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit dem Gewerberecht gab, ist diese Bezeichnung nun wohl auch auf diese Ausschlussmöglichkeiten zu erweitern.

Ziele

Die Disqualifikation von Geschäftsführern nach einer strafrechtlichen Verurteilung bei einigen Delikten soll dem Schutz des Geschäftsverkehrs dienen (Vertrauen). Dadurch sollen betrügerischen oder anderweitig missbräuchlichen Verhalten der Führungsebene in naher Zukunft verhindert werden.[2]

Rechtsgrundlage

In Österreich bestand bisher keine zwingende Verpflichtung eines Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft zurückzutreten, wenn er strafrechtlich wegen eines wirtschaftsnahen Delikts verurteilt wurde. In (verspäteter[4]) Umsetzung der EU-Digitalisierungs-Richtlinie (Artikel 13i)[5][6] wurde mit dem Gesellschaftsrechtlichen Digitalisierungsgesetz 2023 (GesDigG 2023) zum 1. Jänner 2024 diese Regelung des verpflichtenden Rücktritts in Kraft gesetzt und das österreichische Recht dadurch geändert.[2][3]

Anwendungsbereich

Kapitalgesellschaften

Die Disqualifikation betrifft nur Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder bzw. Direktoren von Kapitalgesellschaften. Dies sind in Österreich die SE, AG, GmbH, FlexKapG. In Übererfüllung der EU-Digitalisierungs-Richtlinie wurde die österreichische Umsetzung der Richtlinie auch Genossenschaften (auch SCE) ausgedehnt, nicht aber auf Vereine oder Stiftungen und gilt auch nicht für öffentlich-rechtliche Einrichtungen, wie z. B. Anstalten oder Körperschaften (z. B. Kammern, Sozialversicherungsträger, Hochschülerschaft etc.).

Strafrechtliche Delikte (Auszug)

Gemäß § 15 Abs 1a GmbHG und § 75 Abs 2a AktG bilden z. B. folgende Vermögensdelikte die Ausschlussgründe:

  • Betrug (§ 146 bis 148 StGB),
  • Untreue (§ 153 StGB),
  • Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB),
  • Förderungsmissbrauch (§ 153b StGB),
  • vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 153c StGB),
  • betrügerisches Anmelden zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (§ 153d StGB),
  • organisierte Schwarzarbeit (§ 153e StGB),
  • Betrügerische Krida (§ 156 StGB),
  • Schädigung fremder Gläubiger (§ 157 StGB),
  • Begünstigung eines Gläubigers (§ 158 StGB),
  • grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 StGB),
  • unvertretbare Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände (§ 163a StGB),
  • Geldwäscherei (§ 165 StGB),
  • wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren (§ 168b StGB),
  • ausgabenseitiger Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union (§ 168f StGB),
  • missbräuchliche Verwendung von Mitteln und Vermögenswerten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union (§ 168g StGB),
  • Abgabenbetrug (§ 39 FinStrG), oder
  • grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug (§ 40 FinStrG).

Dabei ist es unerheblich, ob die Verurteilung zu einer bedingten oder unbedingten Strafe erfolgte und auch vergleichbare ausländische Verurteilungen aufgrund vergleichbarer strafbarer Handlungen zählen als Ausschlussgründe (hierzu besteht das europäische System der Registervernetzung (BRIS) um solche Personen zu erfassen). Ebenso ist es unerheblich, ob jemand wegen mehrere der oben angeführten Delikte verurteilt wurde. Es zählt, ob er zu mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde (ausgenommen Zusatzstrafen nach § 31 StGB).[2][7] Interessanterweise fehlen bei den Straftatbeständen Umweltdelikte (z. B. Verunreinigungen des Bodens, der Luft und des Wassers durch illegale Abfälle, Straftaten nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG), dem Tier- und Artenschutz – siehe auch §§ 180 bis 183 StGB).[8] Es hätte dem österreichischen Gesetzgeber nach den europarechtlichen Vorgaben offen gestanden, auch Umweltdelikte einzubeziehen.[2]

Die Strafgerichte können eine Disqualifikation gemäß § 44 Abs 2 StGB aus spezial- oder generalpräventiven Gründen bedingt nachsehen. Dies ist jedoch gemäß § 19a Abs 3 FBG bei einer Neuanmeldung dem Firmenbuch-Gericht unter Erbringung eines Nachweises bekannt zu geben. Eine Disqualifikation endet jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren ab Rechtskraft der Verurteilung ex lege (gilt für Urteile, die ab dem 1. Jänner 2024 rechtskräftig wurden).[2]

Vorgangsweise

Liegt eine aufrechte Disqualifikation einer Person vor, darf diese

  • nicht neu zum Geschäftsführer oder zum Vorstandsmitglied bestellt werden (§ 19a Abs 1 FBG).[9]
  • Muss diese, wenn sie eine solche Funktion bereits inne hat, unverzüglich den Rücktritt erklären und dieser wird binnen 14 Tagen rechtswirksam (§ 16a Abs 3 GmbHG) oder aber von der Gesellschaft abberufen werden.[10]
  • Kann diese, wenn sie nicht zurücktritt oder innert zwei Monaten abberufen wird, durch gerichtlichen Beschluss aus dem Firmenbuch gelöscht werden (dies kann auch schon vor der Zwei-Monats-Frist erfolgen).

Noch nicht sicher geklärt ist, wenn die Disqualifikation einer Person mit der rechtskräftigen Verurteilung eingetreten ist, alle Vertretungshandlungen ab diesem Zeitpunkt unwirksam sind, wenn z. B. die Person nicht freiwillig zurücktritt oder innert zwei Monaten abberufen wird. Jedenfalls muss sich die Kapitalgesellschaft im Geschäftsverkehr mit Dritten diese Missachtung des Gesetzes gegen sich gelten lassen.[2][3][11]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. engl.: Disqualified director bzw. franz.: Administrateurs révoqués.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 286/ME XXVII. GP - Ministerialentwurf – Erläuterungen, Webseite: parlament.gv.at, abgerufen am 20. Juni 2024.
  3. 3,0 3,1 3,2 Bundesgesetz, mit dem das GmbH-Gesetz, das Aktiengesetz, das Genossenschaftsgesetz, das SE-Gesetz, das SCE-Gesetz und das Firmenbuchgesetz geändert werden (Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2023 – GesDigG 2023) - Ministerialentwurf, Webseite: bmj.gv.at, abgerufen am 20. Juni 2024.
  4. Die Bestimmung des Artikel 13i war bis zum 1. August 2023 umzusetzen.
  5. Der Großteil der Vorgaben der EU-Digitalisierungs-Richtlinie wurden bereits mit dem GesDigG 2022 in österreichisches Recht umgesetzt.
  6. RICHTLINIE (EU) 2019/1151 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht.
  7. Zuständig für die Erteilung von Informationen, ob eine Person der Disqualifikation unterliegt, ist das Handelsgericht in Wien.
  8. Umweltkriminalität im Visier der Regierung, Webseite: orf.at vom 12. April 2023.
  9. Fällt das Bestellungshindernis jedoch nachträglich weg, z. B. wegen Strafmilderung nach § 410 StPO iVm § 31 StGB, so kann ein neuer Antrag auf Bestellung gestellt werden.
  10. Der Rücktritt von Vorstandsmitgliedern ist im AktG Und GenG nicht ausdrücklich geregelt. Bei einem Rücktritt wegen Disqualifikation ist daher § 16a Abs. 3 GmbHG heranzuziehen. Tritt das Vorstandsmitglied der AG dennoch nicht von sich aus zurück, so ist dessen Disqualifikation ein wichtiger Grund für eine Abberufung nach § 75 Abs. 4 AktG.
  11. Der handelsrechtliche Geschäftsführer , Webseite: wko.at vom 19. Juni 2024.