Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin

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Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440) sind ein autobiographischer Bericht aus der Mitte des 15. Jahrhundert über die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von Ladislaus Postumus als ungarischer König. Sie gelten heute als die ältesten deutschsprachigen Frauenmemoiren.[1]

Autorenschaft

Die Autorenschaft von Helene Kottannerin wird als gesichert betrachtet. Es wird allerdings ausgegangen, dass sie die "Denkwürdigkeiten" nicht selbst niedergeschrieben, sondern einer schreibkundigen Person diktiert hat.[2]

Handlung

Die "Denkwürdigkeiten" umfassen die Jahre 1439 und 1440. Helene Kottannerin beschreibt aus der Rolle der Augenzeugin eine Begebenheit von öffentlicher Bedeutung[1]. Sie erzählt vom Tod des Königs Albrecht, von der Geburt seines Sohnes Ladislaus und von dessen Krönung, von der Organisation und Ausführung des "Raubs der Stephanskrone"[A 1], die von der Erzählerin heimlich aus der Schatzkammer der Plintenburg nach Komorn gebracht wird und von der an die Krönung anschließenden Reise bzw. Flucht der Erzählerin mit dem Säugling nach Ödenburg.[3]

Merkmale

Die "Denkwürdigkeiten" sind in deutscher Sprache abgefasst. Helene Kottannerin erzählt ihre Geschichte in der Ich-Form. Die Rechtmäßigkeit des Handelns der Königin und ihre eigene Leistung bei der Realisierung sind besonders herausgearbeitet.[3] Da der Anfangsteil und der Schlussteil der "Denkwürdigkeiten" fehlen, bleibt offen, warum Helene Kottannerin diese "Denkwürdigkeiten" verfasst oder jemanden diktiert hat. Ebenfalls ist offen, für welche Rezipientengruppe ihr Bericht bestimmt war.

Datum der Niederschrift

Die genaue Entstehungszeit ist bisher nicht eindeutig geklärt. Nach Hinweisen im Text sind die "Denkwürdigkeiten" nach dem Tod von Königin Elisabeth († 1442) und vor dem Tod von König Ladislaus († 1457) entstanden. Dass im Text die Rechtmäßigkeit von Ladislaus' Anspruch auf die ungarische Krone sehr häufig hervorgehoben wird, spricht für eine Entstehung vor dem Tod des polnischen Königs Wladislaw III. († 1444). Erst nach diesem wurde Ladislaus als ungarischer König tatsächlich anerkannt. Die "Denkwürdigkeiten" dürften daher zwischen 1442 und 1444 verfasst worden sein.[4]

Historisch belegte Fakten

"Der Raub der Stephanskrone" beziehungsweise deren heimliche Wegschaffung aus der Plintenburg ist historisch belegt und findet sich auch in den Berichten von anderen Zeitgenossen, so zum Beispiel bei Enea Silvio Piccolomini oder Johann Dlugosz. Die dortigen Beschreibungen legen nahe, dass es damals Gerüchte darüber, wie die Stephanskrone aus der Plintenburg verschwand, gegeben haben dürfte, dass jedoch konkrete Details nicht bekannt waren. Die "Denkwürdigkeiten" sind der einzige Augenzeugenbericht von diesem politischen Geschehnis.

Nach den "Denkwürdigkeiten" fand der "Der Raub der Stephanskrone" in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1440 statt. Er wurde von Helene Kottannerin in die Wege geleitet, die ihn zusammen mit einem ungarischen Adeligen und dessen Knecht[A 2] ausführte. Inwieweit die einzelnen Details wirklich zutreffen, lässt sich nicht überprüfen, doch wirkt die Beschreibung insgesamt glaubwürdig und in sich schlüssig. Nach den "Denkwürdigkeiten" brach Helene Kottannerin am 20. Februar 1440 von Komorn mit einem Auftrag der Königin ganz offiziell zur Plintenburg auf, wo sie übernachtete. Nach dem nächtlichen Einbruch in die Schatzkammer, der glücklicherweise nicht bemerkt wurde, erfolgte am Folgetag ganz offiziell die gemeinsame Rückreise mit der Krone.

Die übrigen Geschehnisse, die Helene Kottannerin erzählt, sind, soweit überprüfbar, historisch zulässig. Die einzige tatsächliche Abweichung von historischen Fakten betrifft ein Detail der Krönung, wo die Verfasserin das Fehlen weiterer wichtiger Krönungsinsignien verschweigt, vermutlich mit Absicht, da deren Fehlen die Symbolik der Rechtmäßigkeit der Krönung trotz der Verwendung der Stephanskrone ein wenig beeinträchtigt hätte.

Politischer Hintergrund

Nach dem Tod von Kaiser Sigismund, der in seine Position als ungarischer König erst durch die Eheschließung mit der ungarischen Königin Maria (als ungarischer "König" Herrscherin aus eigenem Recht), seiner ersten Ehefrau, beziehungsweise als ihr Mitregent und Nachfolger gelangt war, galt seine Tochter Elisabeth aus seiner zweiten Ehe als "domina naturalis regni". Die Legitimität der Nachfolge ihres Sohnes Ladislaus als ungarischer König wäre durch sie gewährleistet gewesen. Allerdings hatte sie letztlich auf die gemeinsame Königskrönung mit ihrem Ehemann Albrecht verzichtet und sich mit der "Königinnenkrönung" begnügt. Nachdem Tod Albrechts versuchte sie, den Rechtsanspruch ihres Sohnes zu wahren.[5], während der Großteil des ungarischen Adels eine andere Nachfolgelösung unterstützte.

Überlieferung und Rezeptionsgeschichte

Die "Denkwürdigkeiten" sind nur in einer Handschrift erhalten, die sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet.[6] Diese war bis Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend unbekannt. Die erste Mitteilung von ihrem Vorhandensein datiert aus dem Jahr 1834.[7] Eine erste gedruckte Ausgabe wurde 1846 publiziert. Erst danach begann die wissenschaftliche Auswertung dieser Geschichtsquelle.[8]. Bei dieser fällt auf, dass besonders in der älteren Forschung bei den Interpretationen, welche die Erzählerin und Verfasserin betreffen, wertende Aussagen gemacht wurden, die keineswegs durch die "Denkwürdigkeiten" belegt sind, aber dafür Rückschlüsse auf den jeweiligen Zeitgeist geben. Die Fakten wurden diesem angepasst oder mit Blick darauf ausgelegt.[9]

Während die ältere Forschung ihr Augenmerk auf die historischen Umstände und Auswirkungen des "Kronenraubes" richtete, werden in der neueren Forschung eine ganze Reihe weiterer Details aus dieser Geschichtsquelle genutzt.[10] Im 20. Jahrhundert waren die "Denkwürdigkeiten" besonders für die feministische Geschichtsforschung von großem Interesse.[11] Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie auch als wichtige Geschichtsquelle für die Erforschung der Alltagsgeschichte entdeckt.

Literatur

Primärliteratur, Nacherzählungen und Bearbeitungen

  • Stephan Ladislaus Endlicher (Hrsg.): Aus den Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin 1439. 1440. Verlag Engelmann, Leipzig, 1846 digital
  • Gustav Freytag (Hrsg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit (1200-1500) (= ders. (Hrsg.): Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Bd. 2,1). Leipzig, 1887, S. 353-372
  • Karl Mollay (Hrsg.): Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440) (= Wiener Neudrucke 2). Wien, 1971, S. 9 - 35
  • Daniel Kufner: Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440), 2015 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) pdf

Sekundärliteratur

  • Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert? Die autobiographischen Schriften einer Frau und zweier Männer im Vergleich. Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440). Des Andreas Lapitz Zug nach Rom 1451 und andere denkwürdige Geschichten. Hanns Hierszmanns, Thürhüthers Herzog Albrecht VI. von Österreich, Bericht über Krankheit und Tod seines Herrn, 1463 und 1464. Diplomarbeit (ungedruckt), Wien, 1994
  • Kornelia Holzner: Zum Alltag von Frauen und Männern in den "Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin" (1439 - 1440). Diplomarbeit (ungedruckt), Wien, 1994
  • Barbara Schmid: Raumkonzepte und Inszenierung von Räumen in Helene Kottanners Bericht von der Geburt und Krönung des Königs Ladislaus Postumus (1440–1457). In: Ursula Kundert - Barbara Schmid - Regula Schmid (Hrsg.): Ausmessen-Darstellen-Inszenieren. Raumkonzepte und die Wiedergabe von Räumen in Mittelalter und früher Neuzeit. Zürich, 2007, S. 113–138.
  • Andreas Rüther: Königsmacher und Kammerfrau im weiblichen Blick. Der Kampf um die ungarische Krone (1439/40) in der Wahrnehmung von Helene Kottaner. In: Jörg Rogge (Hrsg.): Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter. Ostfildern, 2004, S. 225–247.
  • Barbara Schmid: Ein Augenzeugenbericht im Dienst politischer Werbung. Helene Kottanner, Kammerfrau am Hof König Albrechts II., und ihre Schrift von der Geburt und Krönung Ladislaus’ Postumus. In: Barbara Schmid: Schreiben für Status und Herrschaft. Deutsche Autobiographik in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Zürich, 2006, S. 132–140.
  • Horst Wenzel: Zwei Frauen rauben eine Krone. Die denkwürdigen Erfahrungen der Helene Kottannerin (1439–1440) am Hof der Königin Elisabeth von Ungarn (1409–1442). In: Regina Schulte (Hrsg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500. Frankfurt, 2002, S. 27–48.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13
  2. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 15f.
  3. 3,0 3,1 vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 11
  4. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 11f.
  5. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13f.
  6. vgl. Felix Czeike (Hrsg.): Historisches Lexikon Wien. Band 3, Kremayr & Scheriau, Wien 1994, ISBN 3-218-00545-0, S. 584.
  7. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 18
  8. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 14f.
  9. Vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 19-28
  10. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13 und S. 14
  11. Vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 25ff.

Anmerkungen

  1. Diese Aktion wird auch in der wissenschaftlichen Literatur als der "Raub der Stephanskrone" bezeichnet, obwohl es sich juristisch betrachtet um keinen Raub, sondern einen Einbruch handelte.
  2. Die Identität der beiden Männer ist bis heute nicht wirklich geklärt. Nach den Hinweisen in den "Denkwürdigkeiten" muss der unbekannte Adelige jedoch jemand gewesen sein, der ebenfalls zum Hof der König gehört hat.